“HAPPILAND, a country not far from utopia”

from 2017/03/10 until 2017/04/22

“HAPPILAND, a country not far from utopia”1
Anna Fiegen, Irma Markulin, Jenny Michel, Christine Niehoff, Friederike von Rauch, Diego Sologuren, Matthias Stuchtey

Ausstellung 11.03. bis 22.04.2017
Eröffnung am 10.03.2017, 19 Uhr  

English:  

“HAPPILAND, a country not far from utopia”1
Anna Fiegen, Irma Markulin, Jenny Michel, Christine Niehoff, Friederike von Rauch, Diego Sologuren, Matthias Stuchtey

Duration: : 11 March – 22 April 2017
Opening: 10 March 2017, 7 pm

[1] Thomas More: „Utopia“, p. 62

(English version below)

“HAPPILAND,  a country not far from utopia”[1]

Wie werden wir leben? Wie wollten wir einmal leben? Was ist aus den Plänen geworden, die einmal für die Zukunft erdacht, geschmiedet, erträumt und vermaßt wurden? Welche Träume wurden zu welcher Form von Realität? Wie viele Hoffnungen und Ideen wurden betrogen und verlogen? Und welchen Vorstellungen kann die Zukunft hier und jetzt Raum bieten?
Zwischen Utopie und Dystopie, zwischen Zukunft und Vergangenheit, beschäftigt sich diese Ausstellung mit Bauten, Strukturen und Räumen, die manchmal große Träume und manchmal die Banalität des Alltäglichen real werden lassen.
Während Anna Fiegen sich mit den architektonischen Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Neuanfang in den Nachkriegsjahren in Westdeutschland beschäftigt, geht es in Irma Markulins Arbeiten um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Form von kollektiven Erinnerungsstätten in Bosnien und Herzegowina. Das Scheitern einer linken Utopie ist auch in Friederike von Rauchs Arbeit Berlin 5 zu finden, als Idee, die sich als Wirklichkeit selbst verraten hat und jetzt, in eine museale Form gepresst, ihr Dasein fristet.
In der Serie Trashed Utopia von Jenny Michel hingegen verweben sich die Versatzstücke verschiedenster Utopien zu Gebilden, die Bebauungsplänen oder Entwürfen für eine neue Stadtplanung ähneln. Auch Diego Sologuren, Architekt, ist auf der Suche, indem er die Grenzen zwischen Disziplinen überdenkt.
So wie auch Matthias Stuchteys Schmarotzer den Erdboden unter sich lassen, in platzsparender modularer Stapelbauweise, macht sich Christine Niehoff Gedanken über die Architektur in noch luftigerer Höhe, im Weltall, und knüpft damit auch wieder an utopische Gesellschaftsvorstellungen an: ein Neuanfang für die Menschheit, und wie wollen wir dann dort wohnen?

Anna Fiegen vollführt eine Malerei der Reduktion, wobei ihre Bilder zwischen Klarheit und Unbestimmtheit changieren. Die konsequente Abwesenheit des Menschen in einer zivilisatorisch geprägten Landschaft schafft eine Atmosphäre zwischen Idylle und Bedrohung. Der Betrachter vor dem Bilde setzt sich selbst in das Bild. In den für diese Ausstellung entstandenen Werken besteht eine ansonsten für Fiegen untypische, klare Referenz zu real existierenden Gebäuden. Kenner der Architekturen verspüren ein Wiedererkennen, gleichzeitig aber auch eine Distanzierung durch Unschärfen und malerische Brüche. Diese beginnende Auflösung des Motivs entspricht der diffusen Qualität der gebauten Utopien, die im Rückblick an den Idealen ihrer Erbauer zumindest partiell scheitern mussten.
Anna Fiegen (*1981) studierte Malerei und Radierung an der Kunstakademie Münster, NRW. 2011 schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin ab und stellt seitdem deutschlandweit in Galerien, Museen, Kunstvereinen und Projekträumen aus, z.B. im Kunstmuseum Gelsenkirchen 2012, im Grafik Museum Bad Steben 2013 und im Kunstverein Neukölln, Berlin, 2015. Ihre Malereien und Grafiken sind u.a. in mehreren Sammlungen vertreten. Anna Fiegen lebt und arbeitet in Berlin.

Irma MarkulinIn meiner Arbeiten beschäftige ich mich mit der Funktionsweise des inszenierten Bildes in politischen Kontexten. Hierfür greife ich auf vorhandene fotografische und dokumentarische Archive zurück, um im kollektiven Gedächtnis verankerte Bilder zu Hinterfragen. Ergebnis meiner Recherchen sind Ort bezogene Installationen, die durch ihre Mobilität und Doppelseitigkeit die Bedeutung von öffentlicher und privater Sphäre thematisieren und gleichzeitig als Schauplätze kollektiver Erinnerung fungieren. Die Arbeitsprozesse, die von starken körperlicher Ausdauer und mit langem zeitlichem Aufwand verbunden sind, spiegeln die konzeptuelle und thematische Ebene meiner Arbeit wieder.
Irma Markulin (*1982 in Banja Luka, Bosnien und Herzegowina) war nach dem Malereistudium an der Akademie der schönen Künste (ALU) in Zagreb (2001–2005) Gaststudentin an der Universität der Künste (UdK) in Berlin (2006 – 2007) und studierte anschließend bei Antje Majewski an der Kunsthochschule Weißensee (Diplom 2009, Meisterschülerin 2010). 2014 war sie Stipendiatin des Goldrausch Künstlerinnenprojekts in Berlin und wurde für die Vergabe des ZVONO Awards des Zentrums für zeitgenössische Kunst Sarajevo (SCCA) in die Endrunde gewählt. Im Jahr 2012 erhielt sie das Elsa-Neumann-Stipendium (für Gestaltung) des Landes Berlin. In 2016 war sie ins Museumsquartier Wien (Q21) als Artist-in-Residence von Bundesministerium der Republik Österreich eingeladen worden.

Jenny Michel vereinigt in medialer Vielseitigkeit Objekte, Zeichnungen, Fotografien und Texte zu komplexen Werkreihen, die einen vielschichtigen inhaltlichen Hintergrund von philosophisch-wissenschaftlichen Betrachtungen besitzen. Den Arbeiten zugrunde liegt dabei ein Prozess des Palimpsestierens von Information. In einem nichtlinearen Schichten, Anordnen, Collagieren und Decollagieren von Zeichen und Texten wachsen die Werke über einen Zeitraum von Jahren zu einer modulartig-labyrinthischen Gesamtstruktur zusammen.
In dieses „Bergwerk“ gliedern sich auch die Arbeiten der „Trashed Utopias“- Serie ein. Zersetzte Texte verschiedener Utopien werden dabei mit Fragmenten wissenschaftlich-technischer Darstellungen zu neuen, reliefartigen Strukturen zusammengefügt.
Jenny Michel studierte an der Kunsthochschule Kassel Visuelle Kommunikation und freie Kunst unter anderem bei Prof. Norbert Rademacher, Prof. Bjørn Melhus und Prof. Ursula Panhans-Bühler. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen präsentiert, darunter „System und Sinnlichkeit“, Kupferstichkabinett Berlin (2013), „Drawing a Universe, KA/10, Düsseldorf (2013), “Privacy”, Schirn Kunsthalle Frankfurt (2012). Sie wurde 2010 mit dem HAP-Grieshaber-Preis ausgezeichnet und war 2008 EHF Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 Christine NiehoffAusgehend teils von realen, teils von literarischen oder filmischen Personen oder Anlässen, entwickeln Niehoffs Arbeiten narrative Sequenzen zwischen Realität und Fiktion. Im Zentrum steht  die Frage, inwiefern kollektive Erzählkonventionen wie Mythen, Ideologien, Filmgenres und Fernsehformate unser Leben bewusst und unbewusst beeinflussen, indem sie durch die ständige Wiederholung bestimmter Erzählmuster unsere Interpretation der Wirklichkeit prägen. Fiktives Material wird dabei dokumentarischen und wissenschaftlichen Quellen gleichgestellt.
Christine Niehoff studierte Malerei an der HGB Leipzig (Vordiplom) und der Glasgow School of Art (Bachelor). Von 2004 – 2006 war sie am sie London am Goldsmiths College (Master of Fine Art). Sie hat in Europa und den USA ausgestellt und war an ortspezifischen Projekten beteiligt. Neben diverser Aufenthaltsstipendien (PACT, Zeche Zollverein, Essen; Portugal; Rumänien) war sie 2013 Goldrausch-Stipendiatin.

Friederike von Rauch: Architektur, Räume und Oberflächen gehören zu den Motiven, um die Friederike von Rauchs photographische Arbeit kreist. Ihre Bildsprache konzentriert sich bewußt auf Details, um das Essentielle eines Raumes zu erfassen. Sichtbar werden die abstrakte Interpretation einer Künstlerin jenseits von Ort und Zeit und eine Komposition, in der Licht eine zentrale Rolle spielt. Eine intellektuelle Suche – zwischen Sinnlichkeit und kühler Ästhetik – offenbart sich dem Betrachter.
Friederike von Rauch fotografiert analog mit einer Mittelformatkamera und arbeitet ausschließlich mit dem vorhandenen Licht.
Friederike von Rauch (*1967 studierte an der Universität der Künste Berlin, wo sie lebt und arbeitet. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen, u.a. in der Berlinischen Galerie, Marta Herford Museum und im Martin-Gropius-Bau, Berlin. 2010 wurde sie für den Gabriele-Münter-Preis nominiert. Ihr Buch „Neues Museum“ (2009) wurde mit dem Architectural Book Award des Deutschen Architekturmuseums ausgezeichnet Im Kontext verschiedener Atelierstipendien arbeitete von Rauch in Belgien, in den Niederlande und in Island. Ihre Arbeiten sind in staatlichen und privaten Sammlungen im In- und Ausland vertreten.

Diego Sologuren: No piece 02. (No place)
As part of a series of pieces which evoke absences, the work explores the phenomenological conception of place through the sensorial and emotional appropriation of space. Place is subjective presence in space and in time. Place is constructed through experience, perception and above all imagination. It is introspection, silence, vacuum.
Diego Sologuren is a seeker and creator with an interdisciplinary background. He has been living and travelling around the world for the last few years and is, at the moment, based in Berlin. He moves in the domains of literature, visual arts, music and architecture; his professional occupation. He is committed to the search for his own poetical universe of equilibrated instabilities, slightly distorted harmonies and unexpected absurdity.

Matthias Stuchtey: Die verschachtelten, mitunter “schmarotzenden” (Bau-) Körper, zu neuen architekturähnlichen Gebilden zusammengefügt, finden in der formalen Knappheit und gestalterischen Präzision ihre augenfälligsten Erscheinungsmerkmale. Die bildhauerischen Überlegungen weisen am Ende allerdings über eine rein formalästhetisch zu fassende Relevanz hinaus. Mit Leichtigkeit und Souveränität beweisen diese Arbeiten ihr Eingebettetsein in ein gesellschaftlich orientiertes Bedeutungsgeflecht. Seine modularen Wohn- oder Behausungsformen erinnern ebenso an futuristische Ideen urbanen Lebens, wie an notdürftig zusammengezimmerte Restbauten in den Armenvierteln dieser Welt.
Uwe Schramm: Auszug aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung „On a clear Day?“ am 29. Januar 2017
Matthias Stuchtey studierte an der Kunstakademien in Münster und München. Seine letzten Ausstellungen waren: „On a clear day?“ (GA) Kunsthaus Essen, 2017; „sero“ (EA) Künstlerhaus Saarbrücken, 2017; „Stabile Lage“ (EA) Ausstellungsraum der IGM, Berlin, 2016; Gehag-Forum, Berlin (GA) 2016

English version:

How will we live? How did we once want to live? Was happened to the plans we made, dreamed up or dimensioned to build a future of our societies? How many of these ideas became some form of reality? How many hopes and plans were thwarted or betrayed? Und what concept can the future offer for the here and now?
Oscillating between utopia and dystopia, between past and future, this exhibition deals with buildings, structures and spaces some of which conjur up big dreams while others explore the banality of the everyday.

While Anna Fiegen is interested in the architectural hopes for a new society in the post-war years in West Germany Irma Markulin’s works focus on the past in the shape of collective memorial sites in her native Bosnia and Herzegowina. A failed utopia can also be discovered in Friederike von Rauch’s photograph Berlin 5, an idea that betrayed itself when it became reality, this aberration itself now having been turned into a museum.

In her series Trashed Utopia Jenny Michel weaves together remnants of various utopias and creates structures resembling city planning maps. Diego Sologuren, on the other hand, is an architect constantly in search of something by crossing the boundaries between the disciplines of art and architecture, discovering possibilities and impossibilities along the way.

Just like Matthias Stuchtey’s Schmarotzer (parasites) leaves the ground below in the form of a very efficient space-saving modular stack construction Christine Niehoff explores architecture in great altitudes. Her interest in space goes right back to utopian ideas of a new society, a new start for mankind. And how do we want to live there?

[1] Thomas More: „Utopia“, p. 62

Bild oben: “Underground Man” von Jenny Michel