Secure the Lines!
from 2020/01/10 until 2020/02/08
Bild/image: Kristina Paustian „Positions“ (2016)
SCOTTY presents its fifth annual program based on the theme of territories consisting of a series of video works projected onto their store front window which can be viewed from the street or inside their project space. From being still while in motion to exploring the edges of the infinity of space to the difficulties of navigating the borders of public spaces, the contradictory ideas forming the program which the selected filmmakers use reflect upon the dynamics and structures of power, control, exclusion and freedom. Come and see!
Stillstand in der Bewegung, Anecken an der Weite des Raumes, scheinbar Widersprüchliches in klaren Bildern vereinen. Diese dann aber über die Dauer der Videos an Komplexität und Hintergründigkeit gewinnen lassen und mittels der Möglichkeiten des künstlerischen Mediums über Dynamiken und Strukturen von Macht, Kontrolle, Ausgrenzung und Freiheit nachdenken. Dieser Ansatz vereint die zehn präsentierten Arbeiten, die als Videoprogramm den Auftakt zum Jahresthema des Projektraums bilden: Territorien.
Entgegen der zurzeit oftmals lauten, gar hysterischen und moralisch aufgeladenen Diskussionskultur, geschieht dies hier auf subtile, leise, mal humorvoll, mal verstörende Weise, und den Künstler*innen gelingt es, Denk-Räume zu schaffen, die uns über die verhandelten Grenzen hinwegnehmen.
Ein Faden auf einem karierten Papier unterteilt den Bildraum als Diagonale in zwei Hälften. Die Enden des Fadens beginnen sich kontinuierlich an der Bildkante entlang zu bewegen, und es entsteht eine organisch anmutende Choreographie, die immer wieder kurz durch den diagonal gespannten Faden unterbrochen wird. Das tänzerisch Spielerische wird also erst durch die Begrenzung selbst, den fest definierten Rahmen des Videobildes, ermöglicht.
Ähnlich wie in Aline Helmckes Videoanimation 16:9 diagonal clockwise-anticlockwise (2017) nutzt die Künstlerin Katharina Cibulka die Begrenzung des Bildausschnittes, um über Grenzen im Kopf, in der Fantasie, nachzudenken. In Anlehnung an die abenteuerliche Geschichte von Lawrence Walters, aka Lawnchair Larry, der 1982 mit seinem aus einem an heliumgefüllten Wetterballons befestigtem Gartenstuhl bestehenden Fluggerät „Inspiration I“ in die Lüfte Kaliforniens stieg, lässt die Künstlerin in der Arbeit Der unkontrollierte Flug der Inspiration einen Stuhl mithilfe von zehn weissen Ballons in die Luft schweben. Der Stuhl – in diesem Fall vielleicht mehr als Platzhalter und Potential zu verstehen – fliegt, aber scheint doch in der Bewegung gefangen. Die Ballons steigen nicht unbegrenzt in die Höhe, sie sind sich selbst im Wege und stoßen einander ab. Die zufallsbedingte Choreografie erscheint mal unbeholfen komisch, mal meditativ poetisch. Ein Versuch über die Freiheit oder ein Scheitern ob der Verhedderung der Umstände?
Vom Scheitern und vergangenen Träumen erzählt auch Philipp Haupts und Eva Löbaus Arbeit tskaltubo. Eine Chronik der Zukunft. (2019). Schicht um Schicht überlagern sie ihr Ausgangsmaterial, um von den Welten zu erzählen, die sich in diesem Gebäude abbilden. Ein Ort, an dem sich globale und lokale Geschichte überschneiden, und individuelle Biografien von geopolitischen Ereignissen berichten. Bis zum Ende der Sowjetunion als Baden-Baden des Kaukasus bekannt, verliert die Stadt an Bedeutung, statt Touristen werden Flüchtlinge des abchasischen Bürgerkriegs in den monumentalen Kuranstalten untergebracht.
Höher als der Cibulkas Stuhl schwebt indes ein Polizeihubschrauber im wolkenlosen mexikanischen Himmel. Doch, von der Stelle bewegt auch er sich nicht. Bjørn Melhus‘ subtiler Eingriff, das Videomaterial auf zwei Einzelbilder zu reduzieren und dadurch sozusagen eine Bewegung im Stillstand zu kreieren, läßt den Videoloop POLICIA (2007) zu einem scharfen Kommentar auf die politische Situation in Mexiko, die staatliche Ohnmacht und das Monopol von Gewalt werden – bedingt durch die verstrickte Beziehung zum mächtigen Nachbarn U.S.A..
Territoriale Grenzlinien sind auch Gegenstand der Arbeiten von Franz Winzentsen und Steven Cuzner & Erik Bünger. Winzentsens Animationsfilm Die Grenze. Ein kartographisches Problem (1995) erzählt die Geschichte der innerdeutschen Grenzziehung als zeichnerische Herausforderung. Der zunächst provisorische Charakter der Grenze wird von dem Kartographen durch eine bloße Bleistiftlinie auf der Karte gekennzeichnet, die im Verlauf der Narration jedoch immer dichtere Züge annimmt. Noch schwieriger wird es aber, als die Grenze ausradiert werden soll, denn die Mittel dazu – ein 40 Jahre altes Radiergummi – sind ob der überraschenden Wendung begrenzt. Dies führt zu Schmierereien, und zuletzt bleibt die Grenze als Einprägung sichtbar. Die Unmöglichkeit, die Folgen der Geschichte auszulöschen, wird von dem Künstler auf die zeichnerische Ebene übertragen und parallelisiert Inhalt und Form auf humorvolle und pointierte Weise.
We are protected (2015) von Cuzner & Bünger unternimmt den Versuch einer grenzenlosen Freiheit und Sicherheit, und zwar über die Grenzen unseres Sonnensystems hinaus. Eine an eine außerirdische Zivilisation adressierte Videonachricht mit dem Inhalt des Copyrights derselben, wird als Teil des Forever Now-Projektes ins Weltall befördert. Die Arbeit spielt mit dem ins Absurde gesteigerten Sicherheitswahn und der Angst vor dem menschlichen Bedeutungsverlust sowie seiner Deutungshoheit. Eine Angst, die Grenzen zu ziehen versucht, hinein bis ins grenzenlose Weltall.
Der öffentliche, urbane Raum erscheint bereits durch Sicherheitsbarrieren geschützt. Durch diesen versucht sich eine Mutter mit Kinderwagen in Carola Dertnigs Arbeit stroller II (2007) hindurch zu manövrieren. Dies mag slapstickhaft erscheinen, aber vermittelt doch durch die fortwährende Wiederholung der Aktionen eine Dringlichkeit, die etwas aussagt über die verhärteten Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft.
Die jungen Frauen, die auf einem begrünten Dach im städtischen Raum sitzen, wirken zierlich, ihre Weiblichkeit betont durch die beigen Sommerkleider und Sandalen. Aber in ihren Händen halten sie sehr große Holzgewehre, mit denen sie bewegungslos auf etwas außerhalb des Bildes zielen. Ein diffuses Gefühl von Bedrohung breitet sich aus. Unklar bleibt, wer wen zu fürchten hat, zu kontrollieren versucht oder Widerstand leisten muß. Auch in dieser Arbeit ist es das fokussierte Einfangen von minimalen Bewegungen – das nervöse Blinken eines Auges oder das Nachjustieren der schweren Waffe im close-up – das über die Dauer die Anspannung bedrückend spürbar macht. Kristina Paustians Arbeit Positions (2016) ist eine Studie über Körper, verhaftet in Strukturen und Normativitätskonzepten, und doch in seiner Ästhetik geradezu sinnlich und poetisch.
Der urbane Raum ist auch Kulisse in Sofia Hulténs Video Truckin‘ (2015). Die Künstlerin arbeitet häufig mit der Überschreitung von vermeintlichen Grenzen und ihren Funktionen – zwischen dem Öffentlichen und Privaten, dem Informellen und Institutionalisierten. Materialien aus der städtischen Infrastruktur finden ihren Weg als skulpturale Objekte in den Galerieraum, Gegenstände aus dem Privaten werden durch behutsame Interventionen in den Stadtraum integriert. In der ausgewählten Arbeit durchwandert die Künstlerin die Stadt und tauscht fortlaufend ihre Turnschuhe aus, durch Paare, die sie unterwegs auf der Straße findet. Die abgelegten Gegenstände werden kurzzeitig Teil einer künstlerischen Performance, verändern ihre Funktion und ihre Bedeutung in ständiger Ablösung voneinander.
Abgestellte Schuhe, ordentlich aufgereiht an einer Bahnsteigkante, das ist das Schlussbild der Videoarbeit Border (2003), von Simone Häckel, Kolja Kunt, Ariane Pauls, Markus Ruff und Simon Specht. Die Menschen haben sie zurückgelassen, als sie die U-Bahn betraten. Einige der gezeigten Arbeiten – wie auch diese – sind vor vielen Jahren entstanden, und es ist erstaunlich zu sehen, wie sie gerade heute mit aktuellen Inhalten aufgeladen werden können. Diskussionen um den öffentlichen und privaten Raum, um z.B. die öffentliche Ausübung religiöser oder kultureller Bräuche, haben sich beängstigend zugespitzt in den letzten Jahren. Die Arbeiten als Videoscreening im Schaufenster des Projektraumes zu zeigen, also in den öffentlichen Raum zu projizieren, das ist sicherlich eines von vielen notwendigen Mitteln, um Intoleranz, Diskriminierung und Abgrenzungsphantasien entgegenzutreten.
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